Papageienvögel | Projekt Kitty | Tierschutzfälle mit Vögeln

Ein VIP-Gast in der Katzenstation

Unser Telefon klingelt, und eine Rechtsanwältin aus Paderborn bittet um Hilfe. Sie ist für ungeklärte Nachlässe zuständig und hat in einem kleinen Ort im Nachbarkreis einen Fall. Ein alter Mann sei verstorben, und in der Wohnung, die jetzt aufgelöst werden soll, befände sich noch ein Vogel. „Können Sie mir da helfen, Frau Smith?“ Leider gibt es keine weiteren Infos zu dem Vogel, er ist wohl von jemandem in den Monaten seit dem Tod des Besitzers versorgt worden, aber mehr weiß man nicht

Gelbbrustara Jacob
Jakob im alten Zuhause. Foto: © aktion tier, Susan Smith

Ich gehe in Gedanken unsere Pflegestellen durch und habe sofort einige im Kopf, bei denen ein Vogel untergebracht werden könnte. Die meisten haben eine Volierenhaltung, und da fällt ein Vogel mehr oder weniger nicht wirklich ins Gewicht. Also sage ich zu, und wir verabreden uns in der Wohnung des Verstorbenen. Die Wohnung ist klein und liegt im Keller, und das Erste was uns auffällt ist die immens hohe Temperatur, man bekommt kaum Luft. Im Wohnraum eine in die Jahre gekommene Schrankwand, ein altes Bett, eine Küchenzeile und ganz in der Ecke eine Voliere. Die Voliere ist in eine dunkle Ecke des Raums eingebaut und geht vom Boden bis zur Decke.

Wir schauen hinein und staunen nicht schlecht als uns ein riesiger Gelbbrustara ängstlich anschaut. Der Vogel mit dem Namen Jakob – wie uns der ehemalige Betreuer des Verstorbenen erzählt – ist von der Situation ziemlich überfordert. Die Voliere starrt vor Dreck, da ist sicherlich seit Monaten nicht mehr sauber gemacht worden. Es gibt nur drei Plastikstangen zum Sitzen und als „Highlight“ einen dreckigen Spiegel in der Mitte des Käfigs.

Da die Rechtsanwältin Probleme mit dem Betreuer hat, er geht ohne Testament davon aus auch der Erbe des Verstorbenen zu sein, bestellt sie die Polizei. Somit sind jetzt sechs Menschen (zwei Polizisten, zwei Tierschützer, der Betreuer und die Rechtsanwältin) in der kleinen Wohnung in der der arme Vogel die letzten vier Monate in absoluter Einsamkeit verbracht hat. Der Betreuer erzählt, dass der Vogel sein Erbe sei und er schon einen alten Hühnerstall fertig gemacht hätte, in den der Vogel einziehen kann. Er ist – oder tut – sehr verwirrt und kann uns außer dem Namen nicht viel Auskunft zu Jakob geben. Es gibt auch keinerlei offizielle Dokumente zu dem Vogel. Nachbarn schildern uns allerdings, dass der Besitzer immer erzählt hatte, dass Jakob schon 40 Jahre alt sei. Das wäre natürlich ein stolzes Alter, da Gelbbrustaras eine Lebenserwartung von ca. 35-40 Jahren haben.

Gelbbrustara Jacob in der Kitty Station Paderborn
Jacob wurde zunächst bei uns in der Kitty Station in einer Voliere untergebrachtund genoss ein Stück Mandarine. Foto: © aktion tier, Susan Smith

Aufgrund der tierschutzwidrigen Unterbringung, des Drecks und der mittlerweile für Papageienvögel verbotenen Einzelhaltung bestellt die Anwältin das zuständige Veterinäramt, um den Status Quo offiziell zu dokumentieren.

Der Amtsveterinär trifft ein, schaut sich alles an, und wir setzen Jakob in eine zwischenzeitlich schnell herbeigeholte Hundebox. Mit der Rechtsanwältin wird ausgemacht, dass wir den Vogel zunächst bei uns unterbringen bis die Nachlassangelegenheit geklärt ist. Wie lange so etwas dauert ist leider immer ungewiss, aber wir sind erstmal froh, den Vogel aus diesen Lebensumständen befreit zu haben. Dann fahren wir in unsere Katzenstation und telefonieren schon auf dem Weg, ob jemand einen Papageienkäfig in der Ecke stehen hat. Leider haben die umliegenden Tierschützer nur kleine Volieren in die Jakob mit seinen langen Schwanzfedern gar nicht gepasst hätte. Auch die großen Tierläden haben nichts für Papageien vorrätig und können nur mit immens langen Lieferzeiten Papageienkäfige bestellen

Nach einigem Nachdenken kommen wir auf ein abgebautes stabiles Katzengehege in unserem Lager, das mit Papageiendraht gebaut worden war und dadurch Jakobs Schnabel standhalten wird. Also suchen wir alles zusammen und John-F. Pyka, Mitarbeiter bei aktion tier, macht sich an den professionellen Aufbau. Um Mitternacht steht dann ein vier Quadratmeter großes und zwei Meter hohes begehbares Gehege in unserer Station, wir bringen noch viele Sitzmöglichkeiten in verschiedenen Stärken an, und dann kann Jakob ins Gehege ziehen. Er ist ziemlich geschafft von den vielen Eindrücken des Tages, macht sich aber gleich über sein frisches Futter und Wasser her. Am nächsten Tag wundert er sich über die Reinigung seines Geheges, schließlich war seine alte Voliere seit Monaten nicht mehr gereinigt worden. Er verteidigt sein Gehege und will uns angreifen. Nach einigen Versuchen entspannt er sich aber und versteht, dass man ihm nichts Böses will. Er hat Probleme mit dem Sitzen, seine Klauen haben Druckstellen und sehen arthrotisch aus, was sicherlich auf die Stangen in seinem letzten Zuhause zurückzuführen war. Diese waren aus glattem Plastik und alle in derselben Stärke, was schlecht für Vögel ist, da sie dann immer dieselben Muskeln beim Bewegen auf den Stangen benutzen. Es dauert also einige Tage bis er sich an die neuen Sitzmöglichkeiten gewöhnt hat. Seine Schwanzfedern sehen sehr gerupft aus, der Rest des Federkleids ist aber in Ordnung.

Gelbbrustara Jacob in der aktion tier Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen in Niedersachsen
Jakob ganz links mit seinen neuen Freunden in in der aktion tier Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen in Niedersachsen. Foto: © aktion tier, Susan Smith

Wir kontaktieren unseren Projektpartner, die aktion tier Wildtier- und Artenschutzstation in Sachsenhagen (Niedersachsen), die uns hilfreiche Tipps für die Fütterung und Pflege geben. Der Leiter der Station, Dr. Florian Brandes, erzählt uns, dass in den letzten Wochen ganz viele Papageien aufgenommen worden sind und die Quarantänekapazitäten dadurch völlig erschöpft sind. Er könnte Jakob in eine Gruppe aufnehmen, wenn die Untersuchungen auf die Papageienkrankheiten negativ ausfallen würden. Für diese Tests müssen dem Vogel entweder Blut abgenommen oder Federn mit Federkielen gezupft werden. Diese schickt man dann an ein Labor, und nach einiger Zeit hat man das Ergebnis. Durch den Test bei uns könnte Jakob ohne die Quarantänezeit in Sachsenhagen sofort in eine Gruppe mit Artgenossen einziehen. Das ist eine tolle Perspektive für uns, denn eines ist von Anfang an klar: Jakob soll nicht weiter ohne Artgenossen leben müssen.

Es ist uns eine Freude, Jakobs Entwicklung zuzusehen. Jeden Tag taut er mehr auf, begrüßt uns mit einem bestimmten Geräusch und Kopfnicken, beobachtet was wir im Gehege und rundherum machen.

Wir finden heraus, dass er Apfel sehr gerne frisst, Kiwi war auch toll, Granatapfel nicht so, Wassermelone lecker, Honigmelone nur wenn es sein muss, Mandarinen und Orangen sind toll, weil einem der Saft am Schnabel entlangläuft, Erdnüsse sind die absolute Lieblingsspeise. Zur Beschäftigung bekommt er regelmäßig Laubäste ins Gehege gehängt, aus denen macht er dann wirklich Kleinholz und hat Riesenspaß dabei. Er hört für sein Leben gerne Musik – Reggae, Barry Manilow und ABBA sind seine Favoriten, da kann er manchmal nicht an sich halten und sitzt tanzend auf der Stange. Sein Gefieder wird immer schöner, wir geben ihm Möglichkeit zum Baden, und er setzt das ganze Zimmer unter Wasser, so viel Freude hat er daran zu plantschen und sich nass zu machen. Danach ist er viel blauer und viel gelber, einfach bildschön. Er liebt es aus dem Fenster zu schauen und die Spatzen zu beobachten, dann fängt er immer an viel zu erzählen.

Nach einer Eingewöhnungszeit lassen wir ihm mit Hilfe eines Papageienexperten ein paar Federn zupfen und schicken diese ins Labor. Nach einiger Zeit kommt das Ergebnis, er ist zum Glück negativ auf alle ansteckenden Krankheiten getestet worden. Auf Nachfrage teilt uns dann die Rechtsanwältin mit, dass der Vogel nach drei Monaten zur Vermittlung freigegeben wurde. Somit steht Jakobs Umzug nach Sachsenhagen nichts mehr im Wege. Wir bringen ihn also mit einem lachenden und einem weinenden Auge nach Sachsenhagen, wissen wir doch, dass ein Leben ohne Artgenossen eine Qual für ihn war.

Gelbbrustara Jacob in neuer Voliere.
Jakob bei uns in der Station in neuer Voliere. Foto: © aktion tier, Susan Smith

Jakob hat uns wieder einmal gezeigt, was für eine Entwicklung Tiere machen können, wenn man ihnen die notwendigen Rahmenbedingungen dafür gibt. Hierbei ist es völlig egal, um was für eine Tierart es sich handelt. Jedes Lebewesen hat das Potential, sich auch nach langer schlechter Haltung und Umgebung zu erholen und aufzublühen.

In Sachsenhagen angekommen, steigt er selbstbewusst aus der Box, klettert am Gitter hoch und setzt sich auf eine Stange in seinem neuen Gehege. Zu seiner großen Freude wird es schon von zwei Artgenossen bewohnt. Sofort fangen die Drei an sich zu unterhalten, es ist herrlich anzuschauen, gerade weil man weiß, wie trostlos sein Leben vor wenigen Monaten noch war. Und so fahren wir mit dem Eindruck von einem glücklichen Jakob, der neben zwei anderen Gelbbrustaras auf der Stange sitzt, als hätte er nie etwas anderes in seinem Leben gemacht, nach Hause und freuen uns, ihn ein Stück weit auf seinem Weg in ein besseres Leben begleitet zu haben.

Susan Smith

Projekt Kitty, Partnerbetreuung NW/RP/HE